

Mitten in Backnang zwischen Geschäften, Cafés und dem alltäglichen Stadttrubel steht das offene Bücherregal und lädt zum Mitnehmen, Tauschen und Entdecken ein.Wer daran vorbeikommt, sieht fast immer jemanden davorstehen. Menschen, die interessiert in den Buchtiteln stöbern, ein Buch in den Händen halten und reinlesen oder auch Bücher von sich hineinstellen. Direkt daneben lädt eine Bank zum Verweilen ein.
Seit seiner Einrichtung Ende 2011 hat sich das Bücherregal fest im Stadtbild und in den Herzen der Backnanger etabliert. Es lebt von der Idee, Bücher leicht für jeden zugänglich zu machen, und vom ehrenamtlichen Engagement derjenigen, die es betreuen und pflegen. Was in den 1990er Jahren als zivilgesellschaftliches Experiment begann, ist heute in vielen Städten und Dörfern gelebte Kultur: sogenannte offene Bücherschränke, in denen frei zugänglich Literatur angeboten und getauscht wird – ganz ohne Ausweis oder Rückgabefrist. In Deutschland gibt es mehrere Tausend davon und auch im Rems-Murr-Kreis findet man viele schöne Beispiele. Es gibt sogar einen eigenen Aktionstag, der „Tag des Bücherschranks“ am 15. November, der die Idee würdigt.
Auch in Backnang ist das offene Bücherregal ein Ort der Begegnung. Eine, die die Entstehung von Beginn an miterlebt und mitgestaltet hat, ist Annedore Bauer- Lachenmaier. Die ehemalige Schulleiterin der Plaisirschule war von Anfang an bei dem Projekt dabei und erinnert sich noch gut an diese Zeit. Gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister Michael Balzer und den Vertretern der Bürgerstiftung Backnang Ulrich Schielke und Michael Schwarzer zog sie durch die Stadt, um einen passenden Standort zu finden. Der Platz sollte gut sichtbar, freundlich und belebt sein, möglichst eine Sitzgelegenheit in der Nähe haben und nicht direkt in der Nähe einer Buchhandlung liegen. Der Standort am Obstmarkt hat sich bis heute bewährt und das Buchregal ist immer gut besucht.
Ehrenamtliche Patinnen betreuen das Regal täglich
Anfangs war die Schulleiterin Springerin im Betreuerteam und half aus, wenn andere Bücherregalpatinnen verhindert waren. Seit ihrem Ruhestand hat sie den Montag als festen Betreuungstag übernommen. Sie sortiert die Bücher und nimmt Bücher mit, die nicht ins Regal gehören. Dabei kommt sie auch immer wieder mit Passantinnen und Passanten ins Gespräch. „Es sind viele schöne Begegnungen dabei – manchmal gebe ich Lesetipps oder wir reden über Literatur,“ erzählt die langjährige Buchregalpatin. Insgesamt betreuen 13 ehrenamtliche Buchpatinnen das Regal. Mehrfach täglich schaut eine von ihnen danach, ob noch alles in Ordnung ist, sortiert Bücher wieder schön ein und nimmt alte oder nicht passende Bücher heraus. Immer wieder werden Bücher einfach im Regal entsorgt. Diese werden dann von den Buchpatinnen aussortiert. „Manchmal wird auch Haushaltsgeschirr abgestellt,“ schmunzelt BernhardWeber von der Bürgerstiftung Backnang, unter dessen Schirmherrschaft das Bücherregal steht. Doch dies sind Ausnahmen. Im Bücherregal willkommen sind Romane, Biografien sowie Kinder- und Jugendromane, die noch aktuell sind oder klassisch zeitlos. Die Regel „Maximal fünf einstellen und fünf mitnehmen“ unter dem Motto „Stell nur das hinein, was du auch selbst mitnehmen möchtest“ sorgt dafür, dass die Balance im Bücherregal erhalten bleibt.
Engagierte Bürger initiieren das offene Bücherregal
Initiiert wurde das offene Bücherregal in Backnang vom damaligen Ersten Bürgermeister Michael Balzer, der früh auf das Konzept aufmerksam wurde. Damals gab es in Deutschland nur vereinzelt offene Bücherschränke, und so holten sich die Bücherregal-Pioniere in Backnang Anregungen in der StadtWiesloch, einer der ersten Städte mit einem funktionierenden Modell. Von der Idee waren viele begeistert, auch die Bürgerstiftung Backnang, die das Projekt von Anfang an unterstützt hat. Der damalige Vorsitzende der Bürgerstiftung, Dr. Michael Schwarzer, brachte das Bücherregal gemeinsam mit Michael Balzer und engagierten Bürgerinnen und Bürgern auf den Weg. Bei der Eröffnung des Bücherregals im Herbst 2011 waren dann das damalige Leitungsteam der LiteraTour, die Schulleiter Ulrich Schielke von der GMS in der Taus, Herbert Nonnenmacher von der Eduard- Breuninger-Schule und Annedore Bauer-Lachenmaier mit Beiträgen rund um Bücher und das Lesen dabei. Heute begleitet Bernhard Weber, stellvertretender Vorsitzender der Bürgerstiftung Backnang, das Projekt mit derselben Überzeugung weiter.
Das Regal selbst wurde mit Hilfe der Gewerblichen Schule Backnang und der Firma H.P. Kaysser in Leutenbach hergestellt. Dabei wurde nicht nur an die Optik, sondern auch an die Funktionalität gedacht: Das Regal ist bewusst tief gebaut, damit die Bücher vor Regen und Witterungseinflüssen geschützt sind. Das ist auch der Grund, warum die Bücher nur in einer Reihe ins Regal gestellt werden sollten – damit sie trocken und ganz bleiben.
Ein Ort voller Bücher und Geschichten
Über ein Jahrzehnt nach seiner Entstehung ist das offene Bücherregal längst fester Bestandteil des Stadtlebens – ein Ruhepol voller Geschichten.Was mit einer Idee und viel ehrenamtlichem Engagement begann, hat sich zu einem wundervollen Ort für Bücher, Begegnungen und gelebtem Miteinander entwickelt.
Wie weit so ein Buch aus Backnang reisen kann, zeigt eine kleine Geschichte, die Buchpatin Annedore Bauer-Lachenmaier besonders in Erinnerung geblieben ist: Eine Familie, die länger auf Reisen geht, nimmt sich Bücher aus dem Regal mit – und stellt sie später in einem anderen offenen Bücherregal irgendwo wieder ein. „Ein Buch auf Wanderschaft“ ist ein schönes Bild für die Idee, Literatur nicht zu besitzen, sondern zu teilen.
Auch im Kleinen sind Bücher in Bewegung: Ein anderes Mal nahm die Buchpatin selbst ein Buch mit, das ihr beim Sortieren ins Auge fiel. Die Lektüre schien ihr interessant und sie packte das Buch in ihre Tasche. Zu Hause beim Lesen entdeckte sie schließlich im Buch ihren eigenen Namen. Es war das Buch, das sie vor einiger Zeit bei sich aussortierte und ins Bücherregal gestellt hatte.
Die Idee des offenen Büchertauschs zieht immer größere Kreise. Auch in den Gemeinden rund um Backnang laden Bücherregale zum Entdecken und Mitnehmen ein. Eine Übersicht dazu findet sich im Infokasten. Wer mag, kann einfach vorbeikommen – ein Buch auswählen, sich inspirieren lassen oder selbst eines dazustellen. Denn auch in Zukunft lebt das Bücherregal davon, dass viele Menschen mitmachen.
Offene Bücherregale in der Region:
Allmersbach im Tal > Vor dem Rathaus
Dieses feuerrote Bücherregal de luxe haben die Mitarbeiter des Gemeindebauhofs
Allmersbach gebaut. In der geschlossenen Vitrine sind die Bücher
vor Witterung bestens geschützt.
Sulzbach an der Murr > Am Marktplatz am ehemaligen Gasthaus Ochsen
In Sulzbach steht neben dem Bücherregal eine Sofaliege aus
Holz, auf der es sich Buchliebhaber zum Schmökern zwischen
Japanischen Kirschbäumen gemütlich machen können.
Weissach im Tal > Bushaltestelle am Rathaus in Unterweissach
Die Überdachung des Bücherregals in Unterweissach schützt
die Bücher und Lesebegeisterte vor Witterungseinflüssen. Die
Wartezeit auf den Bus bietet die Möglichkeit, eine interessante
Geschichte zum Mitnehmen zu finden.
Buchregalpaten gesucht!
Wer Lust hat, sich beim offenen Bücherregal als Springer oder fester Buchpate
einzubringen, kann sich bei Bernhard Weber unter b-weber@web.de melden.
Regeln des Bücherregals:
- Maximal fünf Bücher einstellen und mitnehmen.
- Bücher einreihig ins Regal stellen.
- Nicht das letzte Buch herausnehmen, ohne dafür ein anderes hineinzustellen. Gewünscht sind: Romane, Krimis, Kinder- und Jugendbücher, fremdsprachige Bücher in gängigen Sprachen, Sachbücher und Ratgeber, die ein breites Publikum ansprechen.
- Nicht erwünscht sind: Lexika, Zeitschriften, alte Fach- und Schulbücher, veraltete Reiseführer und Bildbände, Kataloge, Betriebsanleitungen, Flyer, Schund- und sexistische Literatur, Reklame, CDs und DVDs.
Text: Birgit Schneider